Es war ein kurzer Satz im Presseclub, der mehr über den Zustand der Sozialdemokratie verrät als tausend Sonntagsreden. Robin Alexander sagte nüchtern, fast beiläufig: „Eines der größten Probleme bei der SPD besteht darin, dass sich die Partei lebensweltlich und kulturell von ihrer eigentlichen Wählerklientel entfernt hat." Ein Satz wie ein Skalpell – präzise, schmerzhaft und blutleer in seiner Wahrheit. Denn was früher Volksnähe bedeutete, ist heute sozialdemokratische Folklore.
Die SPD war einst das politische Zuhause des kleinen Mannes, der Malocherpartei, die wusste, wie sich Hornhaut anfühlt. Heute scheint sie eher an der weich gepolsterten Lebensrealität jener orientiert, die ihre Empathie aus Twitter-Threads und ihre Haltung aus ARD-Talkshows beziehen. Der durchschnittliche SPD-Funktionär ist längst kein Abbild mehr der Wählerschaft, sondern Repräsentant einer abgehobenen akademischen Blase, die sich um Dinge sorgt, die außerhalb des S-Bahn-Rings kaum jemand versteht – geschweige denn braucht.
Doch die eigentliche Tragödie beginnt nicht bei der kulturellen Entfremdung. Sie beginnt dort, wo diese Entfremdung nicht zur Selbstreflexion führt, sondern zur Repression. Dort, wo der Verlust an Bindung nicht zu Demut führt, sondern zu Größenwahn. Lars Klingbeil formulierte es offen, fast stolz: „Es ist unsere historische Aufgabe, die AfD aus dem Parlament zu kriegen." Das klingt nicht mehr wie demokratischer Wettbewerb, das klingt wie eine Kriegserklärung – nicht an eine Partei, sondern an den Wähler.
Wer so spricht, hat nicht nur das Vertrauen in die eigene Überzeugungskraft verloren, sondern auch in die Demokratie selbst. Denn in einer echten Demokratie entscheidet das Volk, wer im Parlament sitzt – nicht die selbsternannten Hüter des Fortschritts. Der Satz hätte auch lauten können: „Wir holen uns den Bundestag zurück – notfalls ohne die Bürger."
Man merkt der SPD ihre Verzweiflung an. Sie kann den Unmut im Land nicht mehr bändigen, also will sie ihn verbieten. Sie kann die Sorgen der Menschen nicht mehr verstehen, also erklärt sie sie zu Gefahren. Und sie kann sich selbst nicht mehr reformieren, also versucht sie es mit Säuberung. Was man nicht mehr überzeugen kann, das muss bekämpft werden – nicht politisch, sondern juristisch. Nicht auf dem Marktplatz, sondern vor dem Verfassungsgericht.
So wird die SPD nicht zur Retterin der Demokratie, sondern zu ihrer Karikatur. Sie spielt die Rolle der moralischen Instanz, während sie selbst die Grundregeln des demokratischen Spiels verletzt. Eine Partei, die einst stolz auf ihre Geschichte blickte, steht heute fassungslos vor ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit – und greift in ihrer Ohnmacht zum letzten Mittel: dem Ausschluss der Konkurrenz.
Doch was sie dabei übersieht: Nicht die AfD hat die SPD verdrängt. Die SPD hat sich selbst abgeschafft. Nicht durch einen äußeren Feind, sondern durch innere Arroganz, durch intellektuelle Verengung und durch den Verlust jedes Gespürs für das, was das Leben der Menschen heute wirklich ausmacht.
Wer sich der Realität verweigert, endet irgendwann in der Repression. Was als Partei der Arbeiter begann, endet als Abwicklungsbehörde des Wählerwillens. Und wer so redet wie Klingbeil, stellt sich nicht über die AfD – er stellt sich über den Wähler.
Das ist kein Fortschritt. Das ist der Anfang vom Ende.