Von HenkerSatire auf Dienstag, 08. Juli 2025
Kategorie: Gastautoren

Wenn Menschenwürde zur Geschmacksfrage wird

Frauke Brosius-Gersdorf und die Rückkehr der kalten Vernunft

Da ist sie also, Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin mit feinem Füllfederhalter und scharfem Skalpell für ethische Fragen. Bald vielleicht Verfassungsrichterin. Eine Frau, die sich nicht scheut, klarzustellen: Die Idee, Menschenwürde sei immer da, wo menschliches Leben ist, sei – Achtung, Originalton – ein „biologistisch-naturalistischer Fehlschluss". Menschenwürde sei nämlich vom Lebensschutz „rechtlich entkoppelt".

Bravo. Endlich traut sich jemand, das Grundgesetz in ein sezierbares Stück Papier zu verwandeln. Menschenwürde? Keine universale Bastion gegen Willkür, sondern offenbar ein rechtlich konditionierter Halbschatten, der sich nur auf ausgewählte Lebensformen legt – offenbar auf solche, die laut Brosius-Gersdorf gewisse Kriterien erfüllen. Welche genau? Wer weiß das schon. Vielleicht eine gültige Geburtsurkunde?

Und so stehen wir da, im Jahr 2025, und diskutieren darüber, ob ein Embryo ein Recht auf Würde hat, während sich eine Juristin für das höchste Gericht der Republik empfiehlt, die solchen Gedanken offenbar mit einem müden Lächeln begegnet. Denn selbst wenn man dem Embryo „die volle Menschenwürde" zuspricht – so argumentiert Brosius-Gersdorf weiter –, sei diese durch einen Schwangerschaftsabbruch „regelhaft nicht verletzt". Ein semantisches Wunder. Die Würde sei zwar da, aber sie werde nicht „herabgewürdigt". Auch wenn das Leben beendet wird.

Die Dialektik ist altbekannt – und sie riecht streng nach einem Geist, den wir in Deutschland totgeglaubt hatten: der technokratischen Entkopplung von Leben und Wert. Wer erinnert sich noch an den Begriff „lebensunwert"? Eine Vokabel, deren Anwendung uns in die dunkelsten Kapitel der Geschichte geführt hat. Brosius-Gersdorf spricht natürlich nicht davon – sie ist schließlich keine Propagandistin im Reichssender –, aber ihr Argumentationsmodell erinnert fatal an jene „juristisch sauberen" Auslegungen, mit denen auch früher schon das Lebensrecht relativiert wurde.

Man muss es deutlich sagen: Wer das Prinzip der Menschenwürde zur Verhandlungssache macht, wer es an biologische, soziale oder gar juristische Voraussetzungen knüpft, der stellt sich in eine Denktradition, die in Deutschland historisch nicht nur diskreditiert, sondern blutig ist.

Dass eine solche Haltung nicht etwa in einer Parteizeitung der radikalen Post-Utilitaristen erscheint, sondern von einer Frau vertreten wird, die kurz davor steht, in das Bundesverfassungsgericht einzuziehen, ist nichts Geringeres als ein intellektueller Offenbarungseid unserer politischen Klasse. Eine Ethik, die sich im Spiegel des Positivismus sonnt, die juristische Eleganz über menschliche Intuition stellt und am Ende dort landet, wo man den fatalen Glauben an „Autorität" verortet: in der stillen Zustimmung der Vernünftigen zum Unmenschlichen.

Was Brosius-Gersdorf präsentiert, ist keine juristische Neutralität – es ist die schleichende Legitimierung einer Hierarchisierung des Lebens. Eine Denkschule, die vorgibt, nüchtern zu sein, dabei aber kalt kalkuliert, wem Würde zusteht – und wem nicht.

Man kann sich gar nicht oft genug daran erinnern: Menschenrechte wurden nicht für die Starken geschrieben. Sie sind keine Auszeichnung, sondern eine Garantie – gerade für jene, die keine Stimme haben, kein Wahlrecht, kein entwickeltes Nervensystem. Die Würde des Menschen ist nicht das Ergebnis juristischer Einzelfallprüfung, sondern Voraussetzung jeder zivilisierten Ordnung.

Wenn das Bundesverfassungsgericht bald mit dieser Frau besetzt wird, dann sollte niemand sagen, man hätte es nicht kommen sehen. Es steht geschrieben, schwarz auf weiß: Die Menschenwürde gilt nicht überall, wo Leben ist.

Eine solche Haltung verdient keine Robe in Karlsruhe.

Sie gehört in die Archive – als Warnung. 

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