Von Ken Wolfgangsson am Juni 25, 2025
Es ist die wohl bekannteste Gretchenfrage der Staatsgläubigen. Und sie kommt zuverlässig – wie die Schlagzeile über einen Skandal, den keiner mehr erklären kann, aber alle empört. Eine Frage, die mit der Dringlichkeit eines Feueralarms gestellt wird, als hinge das Überleben der Menschheit von einer asphaltierten Umgehungsstraße ab. Man hört sie gern von Menschen, die sonst keinen Blumentopf reparieren könnten, aber plötzlich mit Inbrunst für komplexe Infrastrukturplanung argumentieren, wenn der Glaube an den Leviathan erschüttert wird. Denn das ist es, worum es wirklich geht – nicht um Straßen, sondern um Religion. Die gefährlichste von allen, wie Larken Rose sagt: der Glaube an „Autorität".
Diese Frage ist die letzte Bastion des staatstreuen Bürgers, das verbale Rettungsfloß im Gedankensturm, wenn man es wagt, das Unaussprechliche auszusprechen: dass Herrschaft vielleicht keine so gute Idee ist. In dieser kleinen, harmlos klingenden Frage steckt der ganze Zement jahrhundertealter Indoktrination: die Vorstellung, dass ohne „Staat", ohne „Regierung", ohne das sakrosankte Ritual der Wahlurne alles im Chaos versinkt. Kein Teer mehr, keine Laterne, keine Brücke. Nur noch Anarchie – und das klingt in ihren Ohren wie Apokalypse.
Dabei ist die wirkliche Apokalypse längst da. Sie sitzt im Anzug im Parlament, hat Diäten und Ausschüsse und ein Gesicht, das nie etwas gewusst hat. Der Berufspolitiker – eine ganz eigene Spezies. Er lebt davon, Probleme zu verwalten, die es ohne ihn womöglich gar nicht gäbe. Er ist der Metzger, der die Suppe würzt, während er dem Lamm versichert, dass alles zu seinem Besten sei.
Die Berufspolitiker, diese wandelnden Gelübde des Nichts, predigen Freiheit und verwalten Gehorsam. Sie behaupten, „uns zu dienen", während sie mit bewaffnetem Personal unsere Brieftaschen leeren und uns erzählen, das sei zu unserem Besten. „Die Regierung dient uns", heißt es – ja, so wie der Parasit dem Wirt dient: mit Appetit und Ausdauer.
„Ein guter Mensch zu sein bedeutet, seinem eigenen Gewissen zu folgen, selbst zwischen richtig und falsch zu unterscheiden und die persönliche Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen," schreibt Larken Rose in Die gefährlichste aller Religionen. Und weiter: „Respekt vor der ‚Autorität' und Menschlichkeit schließen sich gegenseitig aus."
Was wir heute erleben, ist keine Demokratie. Es ist eine theatralische Verwaltung von Gehorsam. Das Volk – der sogenannte Souverän – liegt in tiefem Schlaf, eingelullt von Talkshows und Steuernummern. Es erwacht nur alle paar Jahre kurz, um ein Kreuz zu machen, als würde das die Richtung ändern, in die der Zug schon seit Jahrzehnten fährt.
„Regierungen haben immer gegen die Interessen der Menschheit gehandelt," schreibt Rose. „Das Konzept der ‚Autorität' an sich ist durch und durch unmenschlich und ausgesprochen zerstörerisch." Und dennoch: die Mehrheit klammert sich an diesen Aberglauben wie ein Kind an den Rocksaum der Mutter. Denn es fühlt sich sicherer an, beherrscht zu werden, als sich einzugestehen, dass man selbst verantwortlich ist – für die Straßen, für das Miteinander, für die Welt.
Das Oxymoron „liberale Partei" ist dabei nur die komische Note im Trauerspiel. Eine Organisation, die sich der Freiheit verschreibt, aber gleichzeitig Gesetze erlässt, ist wie ein Veganer, der Metzgereien betreibt. Das Konzept kollabiert an sich selbst – man kann nicht gleichzeitig für individuelle Freiheit und kollektive Bevormundung eintreten. Und doch tun sie es – mit Fahnen, Plakaten, Spendenquittungen.
Und während unten Milliarden schuften, zahlen, gehorchen, philosophieren oben einige wenige darüber, ob sie nächste Woche lieber Sanktionen verhängen oder Waffensysteme exportieren wollen. Man nennt das „Demokratie". Das Kind hat viele Namen – Herrschaft, wenn sie ehrlich wäre, wäre einfacher zu durchschauen.
Die Machtpyramide steht längst Kopf. Oben sitzt ein Häuflein Lautsprecher, das sich für moralische Oberaufseher hält, während unten Milliarden Menschen glauben, ihnen fehle das Recht, sich zu entziehen. Das ist die eigentliche Tragödie – nicht die Existenz der Herrschenden, sondern der Glaube der Beherrschten an deren Legitimität.
„Wenn das stimmt, warum haben wir die Welt nicht schön längst zum Positiven verändert?" fragt Rose. Und gibt die bittere Antwort: „Weil die Menschen mehrheitlich nicht vernünftig und objektiv sind. Die Geschichte zeigt, dass die meisten tatsächlich lieber sterben würden als die eigenen Glaubenssysteme objektiv zu hinterfragen."
Der erste Schritt zur Freiheit ist kein Aufstand, kein Barrikadenbau – sondern das schlichte, radikale Infragestellen. Wer hat dir gesagt, dass du gehorchen musst? Wer hat dir eingeredet, dass du ohne staatliche Führung weder lieben noch arbeiten noch leben könntest?
Und vor allem: Wer hat dir eingeredet, dass Straßen nur von Menschen gebaut werden können, die du nie zu Gesicht bekommst, deren Gehalt du nicht kennst, und deren Entscheidungen dir schaden?
Wer also baut die Straßen? Die, die immer schon alles gebaut haben: Menschen mit Werkzeugen, nicht mit Mandaten. Die, die nicht reden, sondern tun. Die, die nicht gehorchen, sondern begreifen.
Und je eher wir aufhören zu glauben, dass Herrschaft etwas Heiliges ist – desto schneller rollen wieder die Walzen. Nicht über uns. Sondern für uns.