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Wenn Diktatur rechts ist – warum war Stalin dann links?

Tilo Jung

Es ist schon erstaunlich, wie leichtfertig man mit Begriffen umgeht, wenn man sich selbst als Aufklärer inszeniert. Da verkündet ein Tilo Jung, er sei zwar in einer Diktatur geboren, aber nicht in einer kommunistischen. Mehr noch: Aus heutiger Sicht sei jede Diktatur rechts. Links, das bedeute Demokratie, Menschenrechte, Emanzipation. Es klingt wie eine Botschaft aus der Glaskugel der Selbstgerechtigkeit, wo links das Licht ist und rechts die Dunkelheit, wo das Denken nicht mehr in Kategorien, sondern in Heilsbotschaften stattfindet.

Wer die DDR erlebt hat, mag vieles behaupten, aber eines gewiss nicht: dass sie ein Hort der Demokratie gewesen sei. Die SED regierte mit eiserner Hand, die Stasi überwachte, verfolgte, zerstörte Leben. Das war keine rechte Diktatur, das war eine sozialistische Diktatur. Staatssozialistisch, ideologisch kommunistisch, in jeder Faser auf Marx und Lenin eingeschworen. Dass man das heute einfach umetikettieren will, grenzt an Geschichtsklitterung. Es ist, als würde man behaupten, Stalin sei eigentlich ein verkappter Konservativer gewesen, Mao ein verkleideter Nationalist und Pol Pot eine Art strenger Monarchist.

Die Geschichte zeigt das Gegenteil: Diktaturen gibt es links wie rechts. Franco in Spanien, Pinochet in Chile – rechts. Stalin, Mao, Castro – links. Wer die Realität in eine so primitive Gleichung zwingt wie „Diktatur ist rechts", betreibt nichts anderes als Propaganda. Denn es ist der Trick der Sprachherrschaft: Wenn links automatisch gut ist, kann links keine Diktatur sein. Und wer von linken Diktaturen spricht, muss ja wohl rechts sein. Das ist die perfide Logik, die nicht klärt, sondern spaltet.

Man muss nicht einmal ein Politikwissenschaftler sein, um diesen Unsinn zu erkennen. Schon die alltägliche Erfahrung der DDR-Bürger beweist das Gegenteil. Man nannte es Arbeiter- und Bauernstaat, nicht Nationalstaat. Man berief sich auf Marx, nicht auf Mussolini. Man sang „Die Internationale" und nicht „Deutschland über alles". Und doch war es eine Diktatur. Aber eben eine linke.

Was hier betrieben wird, ist Geschichtspolitik mit dem Holzhammer. Wer Begriffe wie „links" und „rechts" nur noch moralisch auflädt, verwandelt die politische Sprache in eine Waffe. Links wird synonym für das Gute, Rechte, Schöne; rechts für das Böse, Dunkle, Verdammenswerte. Dass es linke Tyrannei gab, die Millionen tötete, verschwindet aus dem Blickfeld. Es wird einfach wegdefiniert. Stalin? Ein Missverständnis. Mao? Ein Betriebsunfall. Pol Pot? Ach, das war bestimmt auch „rechts".

Nein. Wer so spricht, nimmt sich nicht die Freiheit, Begriffe zu klären, sondern die Dreistigkeit, Geschichte umzuschreiben. Das ist nicht Aufklärung, das ist Verdunkelung. Und es ist gefährlich, weil es jede Debatte im Keim erstickt. Wenn links nur noch Demokratie bedeutet, darf man die Demokratie nicht mehr kritisieren, weil man damit automatisch rechts wäre. Wenn Diktatur nur rechts sein kann, dann sind linke Verbrechen nie geschehen. Und wer darauf hinweist, wird selbst zum Verdächtigen.

Das ist der Punkt, an dem Sprache zur Guillotine wird. Nicht mehr das Denken entscheidet, sondern das Etikett. Nicht mehr das Argument zählt, sondern das Urteil. Und genau da muss das Beil fallen: auf die billige Schwarz-Weiß-Malerei, die Geschichte verbiegt, um sich selbst als moralischer Leuchtturm zu inszenieren.

Denn wer ernsthaft glaubt, die DDR sei „rechts" gewesen, der glaubt auch, dass Stalin heimlich FDP gewählt hat. 

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Samstag, 04. Oktober 2025